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Blick ins Haus
Die Legende hält sich hartnäckig, aber sie stimmt nicht: Loki und Helmut Schmidt bewohnten nicht das vielzitierte „Reihenhaus in Langenhorn“, sondern ein Doppelhaus – freistehend auf ihrem Grundstück am Neubergerweg. In der hinteren Wohnung lebten die Eltern von Helmut Schmidt. Das Haus ist geräumig und wirkt auch von innen großzügig und durchaus edel.
Das eigentlich Beeindruckende des Schmidt-Hauses ist sein Innenleben, das unendlich viele Geschichten über seine früheren Bewohner erzählt. Wo das Auge hinblickt, erblickt es spannende Details eines reichhaltigen und weltgewandten Lebens. Es ist ein wohnliches Haus, das Gäste willkommen heißt, aber auch rundum alltagstauglich gewesen ist. Wir werfen hier einen Blick auf Räume und Gegenstände des Schmidt-Hauses.
Ein Blick ins Esszimmer
Einen langen Tisch und viele Stühle – genau das braucht ein einladendes Esszimmer. Da Loki und Helmut Schmidt gern und oft Gäste hatten, trifft dies auch hier zu. Die Möbel sind aus Teakholz gefertigt und in schlichtem skandinavischem Design gehalten. Der Tisch lässt sich ausziehen und bietet dann einer noch größeren Runde Platz.
Regelmäßig traf hier von 1985 bis 2015 die von Helmut Schmidt gegründete Freitagsgesellschaft zusammen – Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Das gemeinsame Interesse war, auf Basis von Vorträgen über große Fragen der Zeit zu diskutieren. Dem Gesprächskreis gehörten unter anderem Siegfried Lenz, Michael Otto, Katharina Trebitsch und Volker Rühe an. Ergebnisse dieser Gespräche hat Schmidt in zwei von ihm herausgegebenen Büchern veröffentlicht: „Erkundungen. Beiträge zum Verständnis unserer Welt“ und „Vertiefungen. Neue Beiträge zum Verständnis unserer Welt“.
Das Esszimmer der Schmidts ist zudem – wie das gesamte Haus – ein Ort der Kunst. An den Wänden hängen dicht an dicht Bilder, die vor allem Hamburg und seine Nähe zum Wasser zeigen: Ansichten des Hafens, der Alster, der Elbe. Einen zentralen Platz nimmt über dem Kopf der Tafel das imposante Emil-Nolde-Gemälde „Bei der Schleuse“ ein. Auf dem Sideboard ziehen zwei Barlach-Skulpturen die Blicke auf sich.
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Wie Loki mit Porzellan die Natur schützte
Blumen und Pflanzen hatte Loki Schmidt schon ihr ganzes Leben lang gezeichnet. 1977 durfte sie, die leidenschaftliche Botanikerin, ihre Blumen auf feinstem Porzellan wiederfinden. Loki Schmidt gestaltete zwölf Motive für die Porzellanmanufaktur Rosenthal.
Sie signierte die nach ihren Entwürfen produzierten Wandteller und das Kaffeegeschirr aus der Reihe „Aus Liebe zur Natur“. Tatsächlich machte Loki Schmidt aus den Erlösen, die sie aus diesem Projekt bekam, dann auch etwas aus Liebe zur Natur. Das Geld floss in das Stiftungskapital ihrer Natur- und Pflanzenschutz-Stiftung, der heutigen Loki Schmidt Stiftung.
2003 entwarf sie erneut ein Porzellanobjekt „Blumen für Philip Rosenthal“ und widmete es dem Engagement für geschützte Pflanzen, dem sich auch Philipp Rosenthal verpflichtet gefühlt hatte. Loki Schmidt sagte dazu: „Ich glaube, dass damals die Rosenthal-Blumenteller durchaus dem Naturschutz einen kleinen Stoß gegeben haben. Denn als die Teller produziert wurden, hatten wir weder einen Umweltminister noch gab es die Partei der Grünen.“
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Eine Tapete ruft Erinnerungen wach
Immer wieder die gleiche Reaktion: Jemand betritt zum ersten Mal das Haus von Loki und Helmut Schmidt und ruft ein entzücktes „Ah!“ oder „Oh!“ aus. Gemeint sind dann nicht die Aquarelle Emil Noldes, die im Flur aufgehängt sind. Nein, gemeint ist die Tapete. Es folgt ein: „Die hatten wir früher auch!“ oder – je nachdem – „Meine Großeltern hatten die gleiche!“
In den 1970er und 80er Jahren zierten Grastapeten bundesdeutsche Wände. Eine zurückhaltende Wandbekleidung in changierenden Beige-Tönen, die sich beim Drüberstreichen irgendwie weich, aber eben auch knotig anfühlte. Wer Kind war in den 70er Jahren, mag sich an die Ermahnung erinnern: „Aber nichts herausziehen!“.
Grastapeten – im Fachjargon Grass Cloth Tapeten – stammen aus dem alten China. Bis heute sind es vor allem asiatische Pflanzenfasern, aus denen die Grastapeten hergestellt werden. Nach Jahren der weißen und oft nur verputzten Wände erlebt die Grastapete aktuell ein Revival.
Ihr Vorteil sei, dass sie ein gutes Raumklima schaffe und den Schall abdämpfe, außerdem langlebig und nachhaltig sei. Wirklich nachhaltig ist die Grastapete im Hause Schmidt am Neubergerweg in Langenhorn. Denn dort hängt seit Jahrzehnten schon das Original.
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Foto: Zettwitz
Ein Blick in die Bar
Wer im Hause Schmidt vom Esszimmer nicht direkt ins Wohnzimmer geht, sondern scharf rechts abbiegt, findet sich in einer anderen Welt wieder. Die hauseigene Kneipe der Schmidts – nach dem langjährigen Personenschützer und immer mal wieder Dienst am Tresen schiebenden Ernst-Otto Heuer auch „Ottis Bar“ genannt – ist ein mit Kuriositäten bis unter die Decke vollgepfropfter kleiner Raum samt über Eck gemauerter Theke.
Hierhin führte Helmut Schmidt seine Gäste, um entweder auf Gesprächstemperatur zu kommen oder ein Wort in offenkundig sehr privater Atmosphäre zu wechseln. Es geht die Kunde, dass Loki Schmidt die Idee einer Bar beim Hausumbau 1974 nicht guthieß. Dennoch scheint sich die Installation gelohnt zu haben. Ob Valéry Giscard d’Estaing oder die Freitagsgesellschaft – es existiert eine Reihe von Fotos, die eine entspannt-vertraute Atmosphäre zwischen Gastgebern und Gästen nahelegen.
Abgesehen von diversen Flaschen hochprozentiger Getränke ist die Bar dekoriert mit Souvenirs, Geschenken, Erinnerungsstücken. Von Schiffsmodellen über ausgestopfte Fische bis hin zu allerlei Tinnef sind es mehr als 500 Gegenstände, die in dem fensterlosen Raum ihre Heimat gefunden haben und dem ansonsten eher ernsthaft eingerichteten Haus einen verspielten, mitunter fröhlich-albernen Kontrast entgegensetzen.
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Immer einen grünen Stift parat
Einmal Chef, immer Chef. Zumindest liegt dieser Gedanke nahe, wenn man sich Helmut Schmidts handschriftliche Notizen oder auch seinen Schreibtisch anschaut. Denn Schmidt schrieb in Grün – in der Farbe des Chefs.
Die absteigende Reihenfolge Grünstift, Violettstift, Rotstift, Blaustift, Braunstift kommt aus der behördlichen Verwaltung und gilt in Behörden heute noch. Zum grünen Stift greifen auch gern Vorstandsmitglieder oder Schulleitungen, wenn es ums Abzeichnen geht. Hat ja auch Vorteile: Gleich auf den ersten Blick wird deutlich, wer auf einem Dokument was vermerkt hat.
Liebgewonnene Eigenarten gibt man nicht auf. So wird nicht nur die Handschrift, sondern auch die Schriftfarbe zur Gewohnheit. Geltungsdrang braucht man Helmut Schmidt jedenfalls nicht zu unterstellen, wenn er bis ins hohe Alter beim Stift seines Vertrauens geblieben ist. Immerhin handelt es sich um einen Klassiker.
Das japanische Unternehmen Pentel hat 1963 den ersten Faserschreiber auf den Markt gebracht. Der Sign Pen wurde zum Renner. Das Prinzip einer Fasermine, die gefärbte Tinte kontrolliert auf das Blatt abgibt und dabei leicht zu führen ist, hat nicht nur Helmut Schmidt überzeugt. Ihn aber immerhin so sehr, dass er auf seinem Schreibtisch stets eine ganze Hand voll grüner Sign Pens griffbereit hatte.
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Getrunken wurde aus dem Senfglas
Die guten Gläser gehen zu Bruch, die Senfgläser halten und halten und halten. Das ist Küchenmagie und gilt auch für den Haushalt von Loki und Helmut Schmidt. Bis heute stehen die Senfgläser als Trinkgläser im Küchenschrank.
Nun ist das Bemerkenswerte daran weniger, dass sich die Senfgläser auch bei den Schmidts als überaus robust erweisen. Bemerkenswert ist eher, dass sich die Schmidts dafür entschieden hatten, diese unprätentiösen Trinkgefäße zu benutzen. Oder eben gerade nicht bemerkenswert, sondern typisch. Im Hause Schmidt – und besonders in der Küche – ging es pragmatisch-bodenständig zu. Das galt kulinarisch ebenso wie für die Ausstattung. Funktion ging da vor Ästhetik.
Senf gehörte mit Sicherheit zu den stets vorrätigen Lebensmitteln am Neubergerweg. Dass die Firma Kühne schon frühzeitig den heute als nachhaltig zu bezeichnenden Zweitverwertungsgedanken aufbrachte, dürfte der von Grund auf sparsamen Auch-Hausfrau Loki Schmidt gefallen haben. Ob mit Henkel oder ohne – das Senf-Kristall im Hause Schmidt war jedenfalls kein ironisches Statement, sondern Alltag.
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Hier wohnt: Helmut Schmidt
„Helmut Schmidt“ – so steht es schnörkellos auf dem Türschild oberhalb der Klingel. Wer zum ersten Mal an der Eingangstür am Neubergerweg steht, ist meist amüsiert. Helmut Schmidt, der legendäre Helmut Schmidt, und dann steht sein Name da so einfach an der Klingel.
Andererseits: Es wohnte ja nicht nur Helmut Schmidt dort. Im Dezember 1961 sind die Schmidts zu dritt dort eingezogen – das Ehepaar gemeinsam mit der Tochter. Und genau genommen hat Loki Schmidt sicherlich mehr Zeit hinter dieser Tür verbracht als der Mann, dessen Name auf dem Türschild prangt.
Das Binnenverhältnis der Eheleute spiegelt das Schild nicht wider. Loki Schmidt hat ein sehr eigenständiges Leben geführt, nicht nur als Persönlichkeit, sondern auch in ihrem Engagement. Sie war Naturforscherin und Autorin, sie war im Naturschutz aktiv und brachte pädagogische Projekte voran.
Nach vielen bewegten Jahrzehnten hat Helmut Schmidt in seinem Buch „Was ich noch sagen wollte“ dies über seine Frau gesagt: „Loki war der Mensch in meinem Leben, der mir am wichtigsten war.“
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung
Ein Blick ins Wohnzimmer
Dieses Wohnzimmer erzählt Geschichten. Manche davon sind Geschichte geworden. Die etwa des ehemaligen sowjetischen Staatsoberhaupts Leonid Breschnew, der 1978 bei den Schmidts zu Gast war und zu späterer Stunde ärztlich behandelt werden musste.
In diesem Wohnzimmer hatten die Schmidts so manchen hochrangigen Politiker zu Besuch. Einige, wie der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing, waren auch öfter am Neubergerweg. Doch bei aller historischer Bedeutung: Das Wohnzimmer gibt vor allem einen Blick frei auf die Interessen und Leidenschaften von Loki und Helmut Schmidt.
Die vielen Bücher, zum großen Teil über Kunst und Künstler, die Bilder an den Wänden, hier vor allem Werke aus Worpswede und Fischerhude, die Musikecke mit dem Schallplattenspieler, der Steinway-Flügel, an dem Helmut Schmidt bis ins hohe Alter spielte, selbstverständlich auch das Schachspiel mit den beiden Vierländer Hochzeitsstühlen oder der Aschenbecher auf dem Tisch – das Wohnzimmer der Schmidts wirkt deshalb bis heute so lebendig, weil es nicht als durchgestylte Ausstellung vorzeigbarer Objekte erscheint, sondern echt ist.
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Foto: Helmut und Loki Schmidt-Stiftung